Dieses Blog durchsuchen

Mittwoch, 17. April 2013

Onkel Wanja

Langeweile – Wo Zeit und Raum zur lähmenden Lethargie werden



„Nichts hat sich geändert, alles bleibt beim Alten.“ – das triste Landleben und die sinnlosigkeit eines unerfüllten Daseins zeichnet Anton Tschechow in seinem Stück „Onkel Wanja“, welches am 04.04.2013 zur Premiere in den Münchner Kammerspielen aufgeführt wurde. Dass diese Vorstellung stattfinden konnte ist dem Intendant Johan Simons zu verdanken, der nach einer grippalen Erkrankung der Regisseurin Karin Henkel kurzfristig einsprang und ihre begonnene Arbeit vollendete. Eine ineinander greifende Zusammenarbeit, die sich sehr positiv aufs Gesamtergebnis niederschlägt.
„Why did you get up this morning?“. Diese und ähnliche Fragen, die fortwährend als Laufschrift eingeblendet werden,  kann man nur schwer beantworten, wenn man in den Mikrokosmos des Onkel Wanja blickt. Professor Serebrjakow lässt seine Nichte Sonja und ihren Onkel Wanja auf seinem Landgut arbeiten, während er ein schickes Stadtleben mit seiner zweiten Frau, der jungen und hübschen Jelena führt. Jahrelang schuften Sonja und Wanja, um dem Professor den erwitschafteten Ertrag zu schicken, der sich damit sein teures Leben finanziert. Alles ändert sich als der zwischenzeitlich pensionierte Serebrjakow mit seiner Frau wieder aufs Land zieht und allen klar wird, dass er nichts mehr als ein blutsaugender, schwätzender, alter Blender und Hypochonder ist.  Damit beraubt er alle, die an ihn geglaubt und ihn verehrt haben, ihrer Zeit und Mühe der Vergangenheit. Im Laufe der Stücks stellen alle Beteiligten ihre Handlungen ein. Eine resignierte und betäubende Starre bricht aus. Jede Form von Lebensfreude schwindet und ein tristes Landleben holt die Protagonisten ein. Eine Langeweile, die es bis zum Tode auszusitzen oder im Alkohol zu ertränken gilt. In ein Loch der Trostlosigkeit gefallen, leben und lieben sie alle aneinander vorbei. Wanja ist unglücklich in Jelena, der zweiten Frau des Professors verliebt. Jelena spielt mit dem ständig betrunkenen und ungepfelgten Arzt und Naturschützer Astrow, der wiederum die Liebe des Mauerblümchens Sonja nicht bemerkt, während Wanjas Mutter noch immer den zittrigen Professor verehrt. Das letzte Quäntchen an menschlicher Emotion kocht in Wanja hoch, als der Professor ankündigt, das Landgut verkaufen zu wollen. Gepackt von der Wut versucht er Serebrjakow zu erschießen aber wie auch alles andere in seinem Leben misslingt ihm dieser Mordversuch.
Muriel Gerstner quetscht die Schauspieler in einen klaustrophobisch kleinen, schwarzen Schaukasten, der sie zur Bewegungslosigkeit zwingt. Unterstützt wird das durch das überflüssige Dasein der Großmutter Marija Wassiljewna Wojnitzkaja (Hans Kremer) und dem verarmten Gutsbeitzer Telegin (Stefan Merki), die wohl nur als Raumfüller in das Stück integriert wurden. Dieser knappe Raum spiegelt auch die vermeindliche Auswegslosogkeit der Situation der Figuren wider – eingeengt in einer öden Welt, in der es nichts Lebenswertes mehr gibt.  Ein Leben, in der sich das einzige Glück darin spiegelt, sich dort kratzen zu können, wo es juckt.
Henkel und Simons reduzieren die Inszenierung auf das absolut Wesentliche und verleihen den Figuren eine sprachliche Monotonie, welches die surreale Tristesse des Stücks unterstreicht. Die Schauspieler werden ähnlich wie in einem Marionettentheater eingesetzt und tänzeln bewusst unbeholfen in ihrem Schaukasten.  Nur Onkel Wanja, gespielt von Benny Claessens, sitzt phlegmatisch und eher wortkarg am Bühnenrand. Anna Drexler verkörpert die schüchterne und in einem Kartoffelsack ähnlichen Kostüm gekleidete Brillenschlange Sonja überwältigend und mit gekonnter, punktgenauer Komik, wodurch sie das Publikum oft zum Lachen bringt. Aber auch der an Parkinson leidende Professor, der von Stephan Bissmeier sehr authentisch gespielt wird, trägt zur Unterhaltung der Zuschauer bei, wenn er in seinem grauen Anzug gebrächlich und fast stotternd über die Bühne trippelt. Ähnlich erbärmlich wirkt der Landarzt, hervorragend verkörpert durch Maximilian Simonischek, der wie ein obdachloser Säufer ständig über die Bühne torkelt und dabei schon längst aufgehört hat zu leben. Wie aus einer anderen Welt strahlt hingegen Wiebke Puls, wenn sie sich in ihrem pinken Abendkleid wie ein Messer ihren Weg über die Bühne schneidet und sich in eine fremde Gesellschaft begibt, über deren Unglück sie nur verächtlich lachen kann.
Tschechow deutet damit auf ein Phänomen, das sich auch in einer dekadenten Gesellschaft von heute wiederfinden lässt. Auf ein Problem einer wohlhabenden Gesellschaft, die seine Möglichkeiten nicht zu nutzen weiß und somit immer mehr in ein Loch aus Frust und Langeweile fällt.
Insgesamt kann man aber sagen, dass man aufgrund des Schicksals der Protagonisten doch lieber mehr Mitgefühl verspürt hätte, als so viel zu lachen. Das ist wohl auch eines der Kritikpunkte an diesem Abend, der durch den Gesang melancholischer, russischer Lieder von Polina Lapkovskaja begleitet wurde.
Mit tosendem Applaus und einer Standing Ovation zeigt das Publikum allen Beteiligten gegenüber seine Anerkennung. Noch nie war Langeweile so Unterhaltsam!

Hakan Karakaya

Foto: Julian Röder

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen